03.04.23
Gesellenbrief zum Abitur

Marquartstein - Seit bald 20 Jahren bietet das Gymnasium in Marquartstein eine in Deutschland einzigartige Ausbildung: Die Schülerinnen und Schüler können - praktisch als zusätzliches Wahlfach – eine Ausbildung zur Schreinerin/zum Schreiner machen. Nach erfolgreicher Prüfung haben sie dann einen regulären Gesellenbrief in der Tasche. Eine spannende berufliche Option in Zeiten, in denen Handwerker dringend gesucht werden.
Sieben Mädchen und acht Jungen sind zur Zeit in der Ausbildung. Zusätzlich zum regulären Unterricht besuchen sie die Schreiner-Werkstatt des Gymnasium Landschulheim Marquartstein. Unter Schreinermeister Michi Huber lernen aktuell 15 Azubis (zusätzlich zum Schulunterricht) das Schreiner-Handwerk.
Die Vorteile für die Schüler liegen laut Meister Huber klar auf der Hand: Seine Schützlinge erwerben während der Ausbildung nicht nur umfangreiche praktische Fertigkeiten, sie lernen auch strukturiertes Arbeiten an Projekten. Und wo Schüler sonst eher wenig Sinn im Schulstoff erkennen, erleben sie hier, wie sie mit ihrer eigenen Hände Arbeit ein Produkt herstellen, das einen praktischen Nutzen hat.
Natürlich, so Huber, ist die Ausbildung auch eine zusätzliche Belastung. Die schulischen Leistungen dürfen nicht darunter leiden. Und es gibt viel zu lernen – sowohl in der Praxis als auch in der Theorie. Trotzdem brechen nur gut 25 % die Zusatzausbildung ab. Interessant sei vor allem auch, dass viele Schüler sich trotz des zusätzlichen Zeitaufwandes auch ihre schulischen Leistungen verbessern.
Die Schülerinnen und Schüler werden zusätzlich auch von qualifizierten Berufsschullehrern unterrichtet. Während der praktischen Ausbildungsblöcke in normalen Schreinereien sammeln die Azubis zusätzliche Erfahrungen in ihrem Handwerk.
Die 14jährige Lilli (bald 15, wie sie betont) erzählt im BAYERNWELLE-Interview stolz, dass sie zur Zeit im zweiten Lehrjahr zur Schreinerin ist. Auf unsere Frage, ob sie vielleicht auch einmal im Handwerk arbeiten will, sagte sie, dass sie das absolut nicht weiß, denn sie habe ja so viele Interessen. Auch ein Jura-Studium könnte sie sich vorstellen. Festlegen will sie sich aber jetzt noch auf keinen Fall.
Ihr Mit-Azubi Xaver ist ebenfalls 14 und kann sich sehr gut vorstellen, auch in einem kreativen Beruf zu arbeiten, bei dem er auf seine Schreiner-Erfahrung zurückgreifen kann. Zum Beispiel als Architekt mit dem Fokus auf Holzbau. Mit Abi UND Gesellenbrief in der Tasche bringen er und seine Kollegen praktisch in jedem Bereich die besten Voraussetzungen mit.
Am Ende der Ausbildung erhalten die Schüler einen regulären Gesellenbrief, mit dem sie theoretisch unmittelbar nach der Schule sofort im Schreiner-Handwerk arbeiten dürfen. Aber eine Art Rückversicherung, falls jemand die Schule schmeißt, ist die Ausbildung nicht. Zum einen können pro Jahrgangsstufe immer nur drei Schüler in die Ausbildung aufgenommen werden, zum anderen müssen auch währenddessen die schulischen Leistungen stimmen. Denn wessen Noten abstürzen, der ist schnell raus aus der Schreinerlehre.
Und auch wenn die Jugendlichen am Ende einen vollkommen anderen Berufsweg einschlagen, kommt das Projekt gut an im Handwerk. Florian Schützinger ist selbständiger Schreinermeister in Traunstein. Zudem ist er Vorstandsmitglied der Schreinerinnung Traunstein. In seiner Schreinerei beschäftigt Schützinger regelmäßig Praktikanten aus dem Gymnasium Marquartstein. Im BAYERNWELLE-Interview sagte er, dass schon allein das Bewusstsein für den Wert der Handwerksberufe etwas Gutes sei.
Am Gymnasium Landschulheim Marquartstein gibt es neben der Schreiner-Werkstatt auch noch eine Elektro-Werkstatt, eine Töpferei und eine Gärtnerei. In der fünften Klasse ist die Arbeit in den Werkstätten fester Bestandteil des Stundenplans. Später können sich die Kinder und Jugendlichen dann für einen Bereich als Wahlfach entscheiden. Den Gesellenbrief gibt es aber nur für die Schreiner-Ausbildung